Ein Volksmärchen, mit Blut geschrieben
Wer auf dem Sundance Film Festival schon für sein Erstlingswerk hoch gelobt wird, hinterlässt einen Eindruck. Robbert Eggers gab mit der düsteren Geschichte um eine puritanische Auswandererfamilie sein Spielfilmdebüt. Die schaurig-einlullende Atmosphäre aus langsamen Kamerafahrten und der Musik von Mark Korven passt brillant in den vom Glauben bestimmten, strengen Familienalltag, der von einer übernatürliche Macht zerrissen wird. Am Ende stellt sich dennoch die Frage: Reicht es wirklich, Surreales unerklärt zu lassen?
Amerika im 17. Jahrhundert. Die englische Familie um Vater William ist gerade erst in Übersee angekommen und wird sogleich aus der streng gläubigen Gemeinde verstoßen, in der sie eigentlich ihr neues Zuhause finden wollte. Die Puritaner kehren der Siedlung den Rücken und lassen sich nahe eines Waldes an einem ruhigen Ort nieder, an dem sie ein Haus mit Scheune errichten, erste Pflanzen anbauen und Tiere hüten können. Alles scheint in bester Ordnung zu sein. Doch kurz darauf verschwindet Baby Samuel wie von Geisterhand. Die Ernte verdirbt und der schwarze Ziegenbock sorgt unter den Tieren für Unruhe. Geht es hier mit rechten Dingen zu? Die fromme Familie begegnet einem Grauen, das sich nicht länger nur in ihren von der heiligen Schrift gesteuerten Köpfen manifestiert.
Bilderbuchartig breitet sich das antiquierte Hexenbild vor dem Zuschauer aus. Die bedächtigen Kamerafahrten und ruhigen Szenen vermitteln zwar das Gefühl von Subtilität – tatsächlich kreiert Regisseur Eggers den Mythos aber so eindringlich klassisch, dass wir gar nicht umhin kommen, darüber zu stolpern. Denn Hexen gibt es – so sagt zumindest die Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, der Hochzeit der Massenhysterie, in dem zehntausende Menschen ihr Leben ließen. Die Hexe, die die siebenköpfige Familie heimsucht, lebt in einem Haus im Wald, neben welchem sich die Gläubigen niedergelassen haben. Ungesehen stiehlt sie das Kind, salbt sich mit Blut, reitet auf einem Besen durch die Nacht und vielleicht ist sie sogar für die Erntemissgeschicke ihrer neuen Nachbarn verantwortlich. Doch bis die gebückte Gestalt in ihrem roten Umhang das erste Mal auftaucht, sucht man vergeblich nach dem Anknüpfungspunkt für den Hexenmythos. Wäre die Familie durch ihre Übersiedler-Vergangenheit nicht der Zeit der Mayflower – dem Segelschiff, das die ersten englischen Pilgernden nach Amerika brachte – und dadurch einem entsprechenden Jahrhundert zuzuordnen, wäre die Hexe zu willkürlich eingesetzt worden. Eggers rettet den Auftritt durch den althergebrachten Aberglauben. Er ist dabei so plakativ, dass es Spaß macht. Natürlich lebt eine Hexe in diesem Wald, glaubenstechnisch kommt gar nichts anderes in Frage. Sie ist genau das Übernatürliche, das eine solche Familie damals erwartet hätte – lässt sich zumindest vermuten. Eine so traditionelle Sichtweise wäre für eine Reihe von Vampirfilmen wünschenswert gewesen.
Auch abseits der Hexenfantasie wirkt der Film authentisch historisch. Vom Hof bis zur Kleidung ist die Familie puritanisch traditionell ausgestattet und betet sogar Verse, die einer realen Schrift entstammen. Dass die Garderobe manchmal ein bisschen zu sauber ist, ist dabei nur ein kleiner Riss in der Fassade. Der große finstere Wald steht im Kontrast zu der minimalistischen frommen Welt auf dem ergründeten Farmland. Auch ohne Fabelgestalt hat man das Gefühl, sich den Kampf vom Menschen mit der Natur anzusehen. Im Einklang mit den schrillen Streichern, die die Musik bestimmen, entwickelt sich eine beklemmende Atmosphäre, die von den Fanatasyelementen wie den wiederkehrenden Begegnungen mit der gestaltwandelnden Hexe unterstützt wird.
Dass Eggers den gesamten Film über auf übermäßig viel Herumgesplatter und die im Horrorgenre nervtötend oft eingesetzten Jumpscares verzichtet, ist ein großes Plus. Seine Inszenierung ist viel geschickter, das Bedienen der Angst vor dem Unnatürlichen dominiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Szene, die schon dem Trailer einen ganz besonderen Moment gab: Als die älteste Tochter Thomasin mit Baby Samuel spielt, dreht Eggers einen wohlbekannten Effekt um. Oft leuchten Horrofilmfiguren mit ihren Taschenlampen herum und schwenken sie dabei so, dass eine Art Zählung entsteht. Beim ersten Mal gibt es nichts Verdächtiges, beim zweiten Mal verändert sich die Umgebung kaum sichtbar, beim dritten Mal steht plötzlich der Dämon vor uns. Doch Samuel hingegen verschwindet von jetzt auf gleich. Man erschrickt, weil etwas nicht mehr da ist, anstatt dass einem ein Element förmlich aufgedrängt wird.
Nach dem Diebstahl des Kindes beginnt das anfangs gut, wenn auch streng geregelte Zusammenleben zu kippen. Es muss eine Strafe Gottes sein. Je mehr geschieht, desto sicherer ist die Familie sich. Alle Menschen sind Sünder, so auch sie. Wer von ihnen wie sündigt, wird zwischendurch immer wieder angedeutet, im Verlauf aber vor allem beim heranwachsenden und entsprechende Gefühle entwickelnden Samuel deutlich. Wer bekommt, wonach er verlangt, stürzt ins Verderben. Kein Wunder also, dass der Leibhaftige selbst in Erscheinung tritt – inklusive Bloodborne-Kostüm.
Was das Ende betrifft kann munter spekuliert werden. Wann trat das Übernatürliche denn nun in das Leben der Familie? Wieso halten tiefgläubige Menschen zu Zeiten der Hexenverfolgung einen schwarzen Ziegenbock? Und wie kam die Hexe in den Wald? Der Zuschauer kann sich zwischen zwei Entitäten und dem menschlichen Makel als Ursprung des Grauens entscheiden und wird vermutlich doch zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen. Man mag mit der Entscheidung des Regisseurs, am Ende alles auf die Magiekarte zu setzen, nicht ganz einverstanden sein. Das atmosphärisch starke und schön anzusehende Filmerlebnis schmälert die letzte Viertelstunde des mutigen Werkes aber definitiv nicht.
Pingback: Spekulationen zu The vvitch – backstagereport