Die Heimgesuchten
verfasst für den VIRUS Taschenkalender 2020
Ihre Namen kennen Horrorfilm-Fans aus dem „The Conjuring“-Universum. Doch Ed und Lorraine Warren gab es auch in der Realität. Gemeinsam besuchten die Warrens verfluchte Orte, spürten Geister auf und trugen die Geschehnisse weiter, die eine Vielzahl an Büchern und Filmen prägten. Ihr okkultes Museum und die mysteriösen Gegenstände darin erzählen Geistergeschichten. Doch welche steckt hinter der Vergangenheit des Dämonologen-Paares?

Sie sitzt mit geneigtem Kopf inmitten eines Glaskastens. Rote Haare umranden das freundliche Gesicht mit der dreieckigen Nase. Der friedliche Anblick einer Raggedy Ann Doll. Zumindest wenn man ignoriert, dass dieses Spielzeug angeblich einen Menschen umgebracht und diverse andere angegriffen haben soll.
Die Puppe Annabelle, bekannt aus James Wans „The Conjuring“ und den zugehörigen Spin-Offs, ist nicht das einzige Fundstück im Occult Museum von Ed und Lorraine Warren. Fälle wie diesen gab es jede Menge, über 10.000, wenn man den den großzügigsten Schätzungen Glauben schenkt. Und Glaube ist hier ein gutes Stichwort. Wie kam ein Ehepaar dazu, sich auf die Suche nach dem Übernatürlichen zu begeben?
Ed und Lorraine lernten sich mit zarten 16 Jahren im The Colonial Theatre in Cridgeport kennen, wo er als Platzanweiser arbeitete. Manche Quellen sagen, dass Ed schon zu diesem Zeitpunkt bemerkte, dass Lori etwas Besonderes an sich hatte. Denn dass das Paar sein Leben schließlich an der Grenze zum Okkultismus führte, liegt in ihrer beider Vergangenheit begründet.
Edward Warren Miney, geboren am 07. September 1926, lebte zwischen seinem fünften und zwölften Lebensjahr in einem Spukhaus. Sein Vater sagte ihm immer wieder, es gebe eine logische Erklärung für all die seltsamen Vorkommnisse. Ed glaubte nicht daran.
Ebenso wenig wie die neunjährige Lorraine Rita Moran, die in ihrer katholischen Schule bemerkte, dass eine der Nonnen eine auffällig starke Aura hatte. Das Aurasehen gehörte zu ihren medialen Fähigkeiten. Während Ed, der Selfmade-Geisterjäger, eher für die physischen Nachforschungen zuständig war, kümmerte sich Lori bei den Fällen um den sensitiven Part.
Doch vor den Fällen kam der Krieg. Ed ging mit 17 als Navy Offizier auf ein Schiff. Als dieses im Nordatlantik versenkt wurde, nutzte er die daraus entstandene Heimatpause, um Lorraine zu heiraten. In seiner erneuten Abwesenheit brachte Lori die gemeinsame Tochter zur Welt. Nach 1945 entschied Ed, eine Kunstschule zu besuchen. Doch als die Ausbildung nicht verlief, wie er es sich wünschte, löste sich die kleine Familie von dem klassischen Leben und fuhr mit einem günstig ergatterten Wagen umher, um seine Bilder zu verkaufen.
Gefesselt von seiner eigenen Vergangenheit entwickelte Ed den Drang, Orte aufzusuchen, an denen übernatürliche Aktivitäten zu passieren schienen. Sobald er von einem Haunted House hörte, setzte er sich davor und zeichnete das Gebäude. Lorraine brachte die Bilder an die Haustüren der heimgesuchten Objekte. Das junge Paar bekam so schnell Einlass und konnte sich in persönlichen Gesprächen genau über die Vorkommnisse erkundigen.
Die Nachforschungen der Warrens mündeten 1952 in der Gründung der „The New England Society for Psychic Research“, die noch heute besteht und mittlerweile von ihrem Schwiegersohn Tony Spera geleitet wird. Der Ausgleich zwischen glaubensübergreifender und wissenschaftlicher Dimension war den römisch-katholisch Gläubigen laut eigener Aussage sehr wichtig. Die Arbeit der NESPR ist seit jeher unentgeltlich. Lediglich die Auslagen für einen Einsatz müssen beglichen werden.
Dass die Warrens trotzdem von ihrem Tun leben konnten, hat mit den diversen Buch- und Filmrechten zu tun, die sie verkaufen konnten. Bekannt wurden sie vor allem durch „The Amityville Horror“ (1979). Die Romanvorlage von Jay Anson erzählt die Geschichte der Familie Lutz, die 1976 ohne es zu wissen in ein Mörderhaus einzog. Schon kurz darauf ereigneten sich seltsame Vorkommnisse, die so bedrohlich wurden, dass die Familie 28 Tage später floh. Für Ed und Lori war dieser Fall ihr Durchbruch. Sie kamen 20 Tage nach der Flucht dort an und bestätigten die starke dämonische Präsenz.
Auch die „The Conjuring“-Filme haben ihren Ursprung in echten Begebenheiten. Der erste Teil bezieht sich auf die Heimsuchung der Familie Perron 1971, die von einer früheren Bewohnerin des Hauses terrorisierte wurde. Das Sequel behandelt das Enfield Haunting 1977, das das Werk eines klassischen Poltergeists gewesen sein soll. Und die Liste weiterer Recherchen ist lang. Zu ihren bekanntesten Fälle zählen noch das Spukhaus der Familie Snedeker in Connecticut, das die Warrens in den 1980ern inspizierten. 1983 beschäftigten sie sich mit dem angeblichen Werwolf Bill Ramsey.
Besonders böse Objekte aus diesen Einsätzen wurden bei ihnen verwahrt. Die Warrens selbst sahen in ihrem okkulten Museum den Beweis für die Existenz von Übernatürlichem. Und teilweise gab man ihnen recht: 1989 gewann das Paar vor Gericht einen Fall, in dem um die Vertreibung einer Mutter und ihres Kindes verhandelt wurde. Fotografien, Aufnahmen und Zeugen wurden als Beweise angebracht – wie in jedem anderen Fall auch. Und sie gewannen. Der Makler, der das Haus verpachtet hatte, musste der Familie eine Strafe von 2000 USD zahlen. Ein Präzedenzfall in den USA!
Als Ed am 23. August 2006 starb, waren die beiden 61 Jahre verheiratet. Lorraine zog sich mehr und mehr von den Aktivitäten der Society zurück und folgte ihrem Ehemann im April 2019. Skeptiker sagen über die beiden, dass sie einfach nur sehr gut darin gewesen waren, Geistergeschichten zu erzählen. In jedem Fall haben sie der paranormalen Welt mit ihren Ermittlungen ihren Stempel aufgedrückt. Und ob wahr oder nicht – würdet ihr Annabelle aus ihrem Glaskasten lassen?