Imaginaerum die zweite – Nur anders.
Nach einer turbulenten Vergangenheit soll nun ein neues, bestehendes Kapitel in ihrer Bandgeschichte anbrechen: Seit 2013 ist Amazone Floor Jansen die neue Sängerin der Band Nightwish. Als erste Krönung der Zusammenarbeit brachten die Finnen heute ihr achtes Studioalbum heraus. Doch schon im Vorfeld wurde harsche Kritik geäußert. Die Auskopplungen schlugen nicht ein und spalteten die Geister, da man mit einer solchen Powerfrau im Team doch einiges mehr erwartet hatte. Und auch das Gesamtwerk steht sich letztendlich selbst im Weg. Gefangen im ewigen Soundtrack.
Zuallererst möchte ich mich aufrichtig bedanken. Danke für eure Musik, die mich seit 2007 nahezu täglich begleitet. Danke für schöne Träumereien, ferne Welten, inbrünstiges Mitsingen. Doch so sehr ich euch und eure Musik auch liebe: Mit eurem neuen Werk kann ich mich leider nur schwer anfreunden.
Seit etwa einer Woche höre ich mir die elf Tracks des Albums Endless Forms Most Beautiful immer wieder an. Es gibt Momente, in denen ich vom gewohnten Nightwish-Feeling gepackt werde. Ich kann mir super vorstellen, wie ich in der Menge vor der Bühne stehe, tanze und mich darüber freue, dass es so talentierte Menschen gibt, die so schöne Musik machen. Doch bei fast jedem Lied geschieht das gleiche: Es läuft weiter und der Effekt verpufft. Warum das so ist? Für mich hat das Album einfach zu wenig Substanz. Und dieses Gefühl haftet leider dem Großteil der knapp 78 Minuten an.
Gerade im Symphonic Metal – Bereich spielt man gern mit gesprochenen Intros. Within Temptation haben sich dieses Mittels schon immer gern bedient und auch deutsche Bands wie Lyriel lassen es sich nicht nehmen, ins Geschichtenerzähler einzusteigen. Und so beginnt auch diese epische Reise mit gesprochenen Worten, in diesem Falle mit denen des Evolutions-Theoretikers Richard Dawkins. Wo es thematisch hingehen soll, ist damit klar. Tuomas Holopainen, kreativer Kopf, Songschreiber und damit Schöpfer der magischen Nightwish-Universen nimmt sich die Entwicklung der Menschheit zur Brust. Dass die Band damit den glaubenstechnisch anders, sprich nicht-Dawkins-orientierten Hörern auf den Schlips treten könnte, war offenbar nicht allzu klar. Zurückgegebene Konzertkarten und sogar verbrannte Alben nun früherer Fans taten ihr übriges. Doch das soll gar nicht zur Debatte stehen. Denn mir geht es weniger um die Thematik als viel mehr um die Klänge, die gewollt fulminant und daher gleichzeitig auch oft zu platt daherkommen.
Bereits der Aufmacher Shudder Before The Beautiful offenbart, womit wir auf dem restlichen Album rechnen können. Schöne Klänge, die sich viel zu schnell selbst tilgen. In meinem Kopf entstand daher unwillkürlich das Bild des Uroboros, der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt.
Natürlich merkt man, mit wem man zu tun hat. Das dichte Melodie-Gewebe, die gewohnte Songstruktur, viel Platz für die Ausbreitung der symphonischen Elemente. Es steht Nightwish drauf, also ist natürlich auch Nightwish drin. Doch die Energie, die eigentlich in diesem Album steckt und die in jedem Song irgendwie zum Vorschein kommt, löst sich so schnell auf, wie sie gekommen ist. Dabei hätte man doch alles, um perfekte Songs zu kreieren!
Ich gebe an dieser Stelle offen zu, dass ich ein sehr großer Fan von Floor Jansen bin. Kaum ein Künstler hat mich auf der Bühne so sehr mit Können und Ausstrahlung begeistert und spätestens seit Nightwishs Wacken-Auftritt steht sie für mich uneingeschränkt an der Spitze der Live-Performerinnen. Daher habe ich mich auf ein stimmgewaltiges Feuerwerk eingestellt, das einfach in keinem Song einen angemessenen Platz bekommt.
Kurz zusammengefasst stehen wir einem ziemlichen Titel-Brei gegenüber. Wem Romanticide oder Beauty Of The Beast etwas sagen, der weiß, dass schon einige Male die Idee von 2 in 1 verwendet wurde. Innerhalb eines Songs gibt es einen Cut und Teile des Konstrukts werden frisch zusammengesetzt, um etwas ganz Neues zu ergeben. Es ist fast so, als hätten wir hier 11 in 1. Und das ist dann doch etwas zu viel des Guten.
Dieser Eindruck entsteht hauptsächlich aufgrund der Seichtheit der Titel. Wie beschrieben gibt es die typischen Elemente, die aber so verpoppt sind, dass man die meisten von ihnen im Gesamtbild des Nightwish-Portfolios nur als mäßig beurteilen kann. Nach dem ersten Hören ist kein Ohrwurm in Sicht und selbst, wenn man während des laufenden Tracks das Gefühl hat, man hätte jetzt etwas ganz Besonderes entdeckt, bleibt die Euphorie nach dem Abebben der letzten Töne nicht lang.
So nimmt der Refrain von Shudder Before The Beautiful einen zwar mit, wer auf härtere Sounds steht, wird aber selbst die super platzierten Soli als aufgesetzt empfinden.
Im Kontrast dazu wirkt Weak Fantasy andersrum. Die wellenartige Komposition aus geerdeter Strophe und aufwallendem Refrain catchen im ersten Moment, letztendlich ist es aber Floors Einsatz, der einen am Ball hält. Denn der Refrain ist irgendwie herkömmlich und zu vorhersehbar. Dass der eingeschobene Instrumentalteil und Marco Hietalas Part dann so brav ausfallen, trübt die Stimmung, die Floors schöne Stimme auf den tollen Textpassagen in der Strophe hervorgerufen hat.
Selbst Yours Is An Empty Hope als rockigster Song der Platte fällt mau aus, indem eine zu gewollt inszenierte Bridge ihm die letzte Power raubt. Das Problem ist einfach folgendes: Wir haben alle Elemente, um richtig reinzuhauen, nutzen sie aber nicht.
Und dieses Muster zieht sich, bis wir plötzlich dem 24-Minuten-Ungetüm The Greatest Show On Earth gegenüberstehen, das mit den passenden Bildern einen perfekten Soundtrack abgibt, ohne aber nicht stark genug ist, um einen Hörer für sich zu erobern. Schade. Die Filmmusik hatten wir doch schon letztes Mal.
Dennoch gibt es natürlich Songs, die sich als Lieblinge herauskristallisieren, in meinem Fall zwei.
Alpenglow vereint am besten alle Einzelteile des Albums und spiegelt daher die verschiedenen Facetten wieder, der andere ist tatsächlich Élan, die erste Single-Auskopplung, die ich zum Release komplett unterschätzt habe. Anfangs war ich fast entsetzt, weil ich von dieser Band schlichtweg mehr erwarte, als besonders schöne Pop-Songs. Und nichts anderes haben wir hier. Dennoch brennt sich nach mehrmaligem Hören gerade der Refrain ins Gedächtnis und hinterlässt einen beschwingt und je nach Aufenthaltsort sogar fröhlich summend. Endlich schießen einem die Bilder in den Kopf, die man bei Tuomas‘ fantasievollen Melodien haben will. Danke dafür!
Doch wo stehen wir jetzt? Von bekannter Seite sahnte Nightwish für das neue Werk gute bis sehr gute Bewertungen ab. Und klar: Die mittlerweile sechs Bandmitglieder wissen genau, was sie tun. Dennoch wird auf Dauer zu merken sein, dass es nach wie vor die Klassiker sind, die überdauernd. Und das nicht grundlos.
Seit dem Ende der Tarja-Ära wird gemotzt, wo es geht, und das ist sichtlich übertrieben. Doch was stimmt ist der Punkt, dass die finnische Vorzeigeband durchaus zugänglicher für die Popwelt-Freunde geworden ist. Man extrahiere harte Riffs und baue einige Passagen um, schon stehen die Popsongs. Mit Imaginaerum in Musik- und Filmform hat sie 2011 einen neuen Meilenstein gesetzt, der gleichzeitig Erfolg und neuen Stil zementiert.
Endless Forms Most Beautiful ist nun der Versuch, auf dem Soundtrack-Charakter aufzubauen. Für Neueinsteiger und Hardcore-Fans ist dieser auch sicher gelungen. Ob der seichte und unaufgeregte Stil in Zukunft aber noch den gewünschten Effekt hat, ist eher zweifelhaft.
All photos by ©Ville Akseli Juurikkala