Only Lovers Left Alive

Die ersten werden die letzten sein – Adam und Eva auf Abwegen 

Jeder kennt die Geschichte der Ursünde: Eva wurde im Paradies von der Schlange dazu verführt, einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu nehmen. Als auch ihr Mann Adam ein Stück davon aß, wurde das Paar aus dem Paradies vertrieben. only-lovers-left-alive-poster-dt
Eine alte Begebenheit, die neu erzählt werden muss. Das dachte sich wohl der bekannte Independent-Filmemacher Jim Jarmusch und kreierte den Film Only lovers left alive. In einem 123-Minuten-Brocken verarbeitet er das Thema des biblischen Paares, indem er an die blutsaugende Spezies der Vampire anknüpft. Berauschende Musik und dunkle Stimmung verwandeln so eine Romanze über eine Jahrhunderte andauernde Liebe in ein Fantasy-Drama mit typischen Vampirelementen. Jarmusch macht sein neues Werk zu einem Film, der zwar nur einen Hauch von Originalität besitzt, aber dennoch durch seine Symbolik und die gelungene atmosphärische Gestaltung brillieren kann.

Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) sind ein in Fernbeziehung lebendes Vampirpaar. Während sie sich in Tanger ihrer Lesefreude hingibt, ist er ein anonym und einsam in Detroit lebender Musiker. Um zu überleben, beziehen sie Blut aus Krankenhäusern, um die Reinheit ihrer Nahrung zu sichern.
Bei einem Gespräch erfasst Eve das seelische Tief, in dem sich Adam gerade befindet. Er ist des Lebens müde, neigt zu Depressionen. Eve beschließt, per Nachtflug in die USA zu reisen. Nach einem zärtlichen Wiedersehen verbringen die beiden einige schöne Tage, bis ihnen seltsame Träume von Eves jüngerer Schwester Ava (Mia Wasikowska) zu denken geben. Tatsächlich taucht diese kurz darauf auf und verursacht Probleme, die sich für das Paar nicht mehr so einfach lösen lassen.

only-lovers-left-alive-10Vampire glitzern nicht. Dies hat auch Blutsauger-Neuling Jarmusch erkannt und stellt twilightuntypisch den klassischen Dracula-Verschnitt in der modernen Welt mit all seinen Problemen dar. Das Blut der „Zombies“, wie die Untoten die geistig stark unterlegenen Menschen nennen, ist nicht mehr so rein wie früher, elektrisches Licht erfordert das Tragen großer Sonnenbrillen. Hier wird klar: Das Paradies ist längst Geschichte. Vor allem Adam ist es leid, das Dahinvegetieren weiter zu beobachten. Schon früher hat er der Menschheit mit seinem Wissen große Erfindungen und Musikstücke gegeben, die dann unter dem Namen mindertalentierter Emporkömmlinge wie Schubert veröffentlicht wurden. only-lovers-left-alive-03Die hohe Intelligenz gilt für beide, das Paar zeigt sich insgesamt sehr weltgewandt: Flora und Fauna sind ihnen auch auf Latein geläufig und es entstehen viele Fachsimpeleien über Sterne, Instrumente und alte Bauwerke. Dass man als Vampir dennoch keine Schwellen ohne Einladung übertreten sollte und ein Pflock im Herz das Ende bedeutet, ist für sie ebenso klar wie der Umstand, dass Knoblauch nur halb so schlimm ist und Särge als Schlafmöglichkeit überbewertet werden. Aberglaube trifft auf Moderne.

Gegensatzreich ist auch das tragende Element des Filmes, das Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere.
Während Eve durchweg in Weiß gekleidet ist, tritt Adam kompromisslos in Schwarz auf. Dass dies keineswegs Trennung, sondern im Gegenteil ying- und yangähnliche Einheit bedeutet, wird vor allem durch den Umgang miteinander klar. Eve ist die Stütze für ihren gebrochenen Mann und will ihm zeigen, dass man die Endlosigkeit auch weniger depressiv verbringen kann. Als treibende Kraft sorgt sie für leichtes Schmunzeln, wenn sie zum Beispiel zu „Can‘t hardly stand it“ aus dem Jahr 1956 von Charlie Feathers abrockt und es damit schafft, Adam aus seinen Gedanken zu holen.
Die Jarmusch-erfahrene Tilda Swinton (Broken Flowers, 2005) geht vollkommen auf in ihrer Rolle als fürsorgliche abgeklärte Vampirfrau und hat für diese Leistung daher durchaus berechtigt den Douglas-Kirk-Preis auf dem Filmfest Hamburg 2013 gewonnen.
Auch bei Tim Hiddleston ist schauspielerisch kein Fehler zu finden. Melancholisch schleicht er als Adam durch die Nacht. Dass der Film komplett an dieser Tageszeit orientiert ist, ist bei der Thematik kein Wunder. Zusammen mit Adams Traurigkeit verbinden sich die dunklen Bilder zu einer Art Nebel, der durch die psychedelischen Klänge der Band Sqürl, zu der nebenbei der Regisseur selbst gehört, auf den Zuschauer übertragen wird und ihn so regelrecht einlullt. Adams abweisende Haltung und Zurückgezogenheit in sich selbst werden vor allem durch das Auftreten der ungewöhnlich unbraven Alice-Darstellerin Mia Wasikowska verstärkt. Sie zerstört die Idylle und in ihrer wilden Jugendlichkeit womöglich mehr, als sie selbst geplant hat.
Nur allein mit Eve kommt es zu Szenen, in denen Adam Zärtlichkeit und Liebe ausstrahlt.

Da zumindest der Protagonist kein Brunnen der Freude ist, bedient man sich andere Mittel, um Spaß einzubringen. Vor allem Wortspielereien müssen hier genannt werden. Abgesehen davon, dass  Eve als Frau Fibonacci reist oder Adam als Dr. Faust oder Dr. Caligari das Blut aus dem Krankenhaus beschafft, finden noch viele weitere Persönlichkeiten Platz in dem Versteckspiel und den Erörterungen des Vampir-Paares. Und auch, dass Eves Stammcafé in Tanger „Mille et un nuit“ (1001 Nacht) heißt, ist wohl kein Zufall. Tatsächlich wiederholt sich einiges in ihrem Leben, genauso wie Prinzessin Sheherazade auch jede Nacht eine neue Geschichte erzählen musste. Das einzige bleibende Element ist die starke Liebe zueinander, die Adam und Eve nicht trennen kann.

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Sich der Namen der ersten Menschen zu bedienen und sie so zu Wiederholungstäter zu machen, die das Paradies verlassen mussten und nun wahrscheinlich sogar ein neues Geschlecht begründen, wie das offene Ende nicht verrät, ist eine gewagte Idee. Als distanzierte Nostalgiker zelebrieren sie den Rausch des Blutes, den Genuss der verbotenen Frucht, sinnbildlich gesprochen. Und ähnlich zelebriert Jarmusch die Bilder, die er an einigen Stellen sehr in die Länge zieht. Jeder Konsum ist verbunden mit Bildern der anschließenden Wirkung. Obwohl nicht viel Blut fließt kommt es einem so vor, als hätten mehrere Menschen ihr Leben gelassen, so ausgedehnt werden die ziemlich einfach gehaltenen Detailaufnahmen. Ein Spannungsbogen will daher nicht so recht entstehen. Wendungen in der Handlung kündigen sich so früh an, dass sie nicht mehr überraschen können. Möglicherweise schlägt hier auch einfach der Vampirboom der Geldmaschine Twilight zu Buche, die die Fledermaus-Industrie erneut ins Rollen brachte und daher neue Dimensionen des Mythos fast unmöglich macht.

Only lovers left alive kann also definitiv nicht als handlungsstarker Film bezeichnet werden. Dennoch machen ihn gut eingesetzte filmische Mittel und nicht zuletzt hervorragende schauspielerische Leistungen zu einem wirkungsstarken Exponat aus Jim Jarmuschs skurrilem Figuren-Kabinett.

Bilder © PandoraFilm

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