Ixe Schäfer, Lingua Canina

Warum es so schwer fällt, in der Hundeerziehung konsequent zu sein

Ein knautschiges Gesicht, tapsige Bewegungen, große Kulleraugen. Kaum jemand kann einem kleinen Hundewelpen widerstehen. Gerade in einer neuen Familie angekommen, werden ihm oft eine Menge Freiheiten eingeräumt. Er muss schließlich die Umgebung erkunden, sich an alles gewöhnen; ein Leckerchen ab und zu oder ein weicher Platz auf Sofa oder Bett sind da keine Seltenheit.
Doch dabei ergeben sich zwei Schwierigkeiten: 1. Ein Hund ist kein Mensch, all diese Dinge haben für ihn eine andere Bedeutung und 2. Auch ein Welpe wird einmal groß. Und die von Anfang an erlaubten Privilegien können schnell ein Problem werden.

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steve prinz / pixelio.de

Ixe Schäfer, Hundeerziehungsberaterin aus Wölfersheim in Hessen, hat 2007 ihre Hundeschule Lingua Canina gegründet. Sie hat eine Erziehungsphilosophie, die mit viel Empathie für den Menschen Erfahrung, Wissen, Respekt und Intuition verbindet, um dem Hund ein möglichst artegerechtes Leben zu ermöglichen.
Sie hat mit mir die Frage untersucht: Warum fällt es uns so schwer, konsequent zu sein?

Ixe, Du bist jetzt seit ungefähr sieben Jahren Hundeerziehungsberaterin. Vorher hast Du als Zahnarzthelferin, Bürokraft, im Versandhandel und in der Gastronomie gearbeitet. Wie kommt man danach überhaupt auf diese Idee?

Ich habe aus Studienzwecken ein halbes Jahr in Südafrika verbracht und von dort meine erste Hündin mitgebracht, Khira, einen Rhodesian Ridgeback. Der Plan war, nach einiger Zeit Welpen von dieser wunderbaren Hündin zu bekommen. Als ich aber mit meinem früheren Mann darüber gesprochen habe, wussten wir überhaupt nicht, an wen man denn die Kleinen abgeben könnte. Dieser Punkt war uns sehr wichtig. Damals war der Ridgeback in Deutschland noch recht unbekannt. Die Rasse ist eine ursprüngliche und anspruchsvoll, da sie erst sehr spät erwachsen wird. Sie wurde für eine gefährliche Aufgabe gezüchtet, nämlich um den Menschen bei der Löwenjagd zu helfen. Daher sind die Hunde sehr mutig, intelligent und selbstbewusst, was aber auch dazu führen kann, dass sie schnell an ihrer Führungsperson zweifeln. Auch mit Khira war es nicht immer leicht, aber im Großen und Ganzen hatte ich sehr viel Glück mit ihr.
Eine Idee war, den zukünftigen Welpenbesitzern gleichzeitig Welpenstunden anzubieten. Da die Erziehung von Khira aber viel mit Inuition zu tun hatte, wusste ich nicht, wie ich dies anderen Leuten hätte beibringen oder erklären sollen. Im Nachhinein würde ich sogar sagen, sie hat damals eher mich erzogen als ich sie. Das weckte meine Neugier, zu Menschen zu gehen, die mir zeigen konnten, wie ich mein Wissen an andere weitergeben kann. Und dann habe ich meine Ausbildung beim Hundeerziehungsberater Jan Nijboer begonnen.

In Deutschland gibt es mittlerweile eine ganze Menge Hundeprofis. Warum bist Du gerade bei Herrn Nijboer gelandet?

Ich hatte Martin Rütter im Fernsehen gesehen und fand unglaublich, was dort passierte. Daraufhin habe ich zwei Seminare von ihm besucht, die sehr informativ waren. Allerdings wollte ich mich nicht mit allgemeingültigen Aussagen zufriedengeben. Als ich tiefgründigere Fragen stellte, wurden mir keine schlüssigen Antworten gegeben, was mich irritierte. Trotzdem habe ich mich für die Ausbildung bei ihm interessiert und forderte das Anmeldungsformular an, das vielleicht auch deshalb, nie bei mir ankam.
Kurz darauf hatte ich dann das Buch „Hunde verstehen mit Natural Dogmanship“ in der Hand und merkte, dass viele Aspekte Rütters Erziehung sehr nahe kamen. Wie konnte das sein? Ich recherchierte die Hintergründe und entschied mich, beim Autor des Buches die Ausbildung zu machen: Bei Jan Nijboer. Dort bekam ich schließlich die Antworten auf meine Fragen.

Die Idee, die Natural Dogmanship vertritt, ist, dem Hund ein möglichst artgerechtes Leben zu bieten und vielen Menschen wird dies auf Anhieb zusagen. Was ist das Wichtigste dabei?

Für mich ist der ausschlaggebende Punkt, dass Mensch und Hund mit dem gemeinsamen Tun auch gemeinsam glücklich sein können.
In jeder gut funktionierenden Gemeinschaft gibt es Regeln, und wichtig ist, dass der, der die Regeln durchsetzt, authentisch ist. Der Hund merkt das sofort.
Und bei Natural Dogmanship gibt es eben viele Regeln. Geht der Mensch damit nicht konform, kann er mit seinem Hund nicht nach dieser Idee leben. Denn für mich ist ND keine reine Erziehungsmethode, sondern eine Lebensphilosophie, die Zwei- als auch Vierbeiner fordert. Wenn der Mensch bereit ist, zu sagen: „Ich habe eine andere Spezies zu mir genommen und möchte ihr ein so natürliches Leben wie möglich bieten. Ich bin bereit, dabei auch ein Stück weit Kompromisse einzugehen“, dann kann er mit ND glücklich werden.

Wenn Du also Leute auf der Straße beobachtest, gibt es dann viele, bei denen Du kritisch hinschaust und denkst: Was macht die da eigentlich mit ihrem Hund?

Nicht mehr. Zum Glück!

Anfangs war es also so?

Wenn man mit dem Job anfängt sieht man automatisch viele Fehler. Man hat ja gerade gelernt, sie zu sehen. Aber ich bin nicht  auf der Welt, um andere zu bekehren. Hilfe kann nur gegeben werden, wenn sie auch gewollt wird. Es war sehr befreiend, mit der Zeit mein Helfersyndrom abzulegen.
Mittlerweile kann ich das Ganze aus einem anderen Blickwinkel sehen, ich bin nur noch Beobachter. Man würde ja auch nicht zu Müttern gehen, um ihnen zu sagen, wie sie mit ihren Kindern umgehen sollen.

Wenn wir von artgerechter Lebensweise sprechen, können sich viele auf Anhieb wahrscheinlich nichts darunter vorstellen. Definiere doch einmal, was artgerecht im Bezug auf den Hund überhaupt bedeutet.

Der Hund ist ein Beutegreifer, ein Raubtier, ein Fleischfresser. Was seine Art auszeichnet ist, dass er, um an Nahrung zu kommen, jagen geht. Dies sollte ihm ermöglicht werden. Menschen, die nach dem Prinzip Natural Dogmanship arbeiten, nutzen dafür Futterbeutel als Alternative.
Hunde leben außerdem in Familienverbänden. Außerfamiliäre Kontakte würde es in der Natur nicht geben.
Doch genau betrachtet sind wir ähnlich gestrickt wie die Hunde: Auf der Suche nach Angeboten pirschen wir durch die Gänge unseres Jagdgebiets, des Supermarktes, und verteidigen unser Revier, so gut wir können, wenn Rivalen nahen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das vorzeitig ausgelegte Strandtuch auf der Sonnenliege, das signalisieren soll: Das ist mein Platz! Damit ist das Revier markiert.
Nimmt ein Mensch einen Vierbeiner auf, ist es, um ihm ein natürliches Leben zu bieten, wichtig, zu beobachten, was der eigene Hund tut, wenn man mit ihm unterwegs ist. Hat er die ganze Zeit die Nase am Boden? Wie reagiert er, wenn andere auf ihn zukommen?
Artegerechte Lebensweise bedeutet, ihn mit den Dingen zu beschäftigen und auszulasten, die seinen Bedürfnissen entsprechen.

Was grenzt denn Deine Philosophie von der klassischen Hundeerziehung ab? Geht es dabei nur um das gemeinsame Jagen im Rudelverband oder geht es dabei auch um eine völlig unterschiedliche Sichtweise?

Wenn mit der klassischen Hundeschule gemeint ist, dass am Ende der funktionierende Hund steht, unterscheide ich mich insofern, dass bei mir die Hunde ihre Persönlichkeit entwickeln dürfen und verstehen lernen, warum die Regeln, die aufgestellt werden, wichtig sind. Wenn mein Hund versteht, dass er davon profitieren kann, wird er mir freiwillig folgen und ich muss ihn nicht dazu zwingen. Um das umsetzen zu können, muss ich zuerst den Hundebesitzer erreichen, damit der anschließend Einfluss nehmen kann. Das heißt, bei mir steht in erster Linie der Mensch im Vordergrund, denn ich bin Hundeerziehungsberater, kein Hundetrainer.

Kommen wir doch mal auf eine konkrete Situation zu sprechen: Eine Familie entscheidet sich für einen Hund. Nach welchen Kriterien wird dieser meistens gewählt?

Meiner Meinung nach nach der Optik.

Das heißt, die meisten Leute machen sich gar keine Gedanken?

Ich glaube, nur wenige denken darüber nach, was für einen Hund sie sich zulegen.

Sind Probleme da nicht vorprogrammiert?

Doch, natürlich. Die meisten Menschen wollen einen Familienhund und genaugenommen gibt es keinen. Kein Hund wurde gezüchtet, um sich von alleine in die menschliche Gesellschaft zu erziehen.

Es müssen also von Anfang an bestimmte Regeln herrschen. Konsequenz ist gefragt. Doch vielen Menschen fällt das schwer, warum?

Kein Lebewesen kann so ausdauernd verzweifelt gucken wie der Hund. Welpen erst recht, die sind niedlich, erfüllen das Kindchenschema. Und viele Menschen neigen dann dazu, den Hund gewähren zu lassen. Sie gehen davon aus, dass er noch klein und süß ist und er das, was sie von ihm wollen, schon noch lernen wird. Aber von allein lernt ein Hund das nun mal nicht.
Wir interpretieren das Verhalten eines Hundes menschlich. Er scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er geschimpft wird, doch der Hund möchte in dem Moment eigentlich nur Unterwürfigkeit zeigen, um den, der auf ihn böse ist, milde zu stimmen. Er weiß, dass man nicht gut findet, was er getan hat, aber nicht, warum.
Vermenschlichung sorgt für Missverständnisse, denn ein Hund ist nun mal ein Hund. Es entsteht eine Fehlkommunikation. Das bedeutet, dass beide nicht die gleiche Sprache sprechen und sich deshalb nicht verstehen. Im unglücklichsten Fall werden die Anweisungen des Menschen nicht befolgt.

Gibt es ein paar abschließende Tipps, die man für die erste Zeit mit einem neuen Hund geben kann?

Wissen aneignen. Auf jeden Fall. Ohne Wissen wird das Verständnis für den Hund niemals stimmig sein. Wenn ich nicht weiß, wie er tickt, was er erlebt hat und wie er mit Erlebtem umgeht, werde ich das Lebewesen nie verstehen. Wenn ich mir Wissen aneigne, egal wo, ist eines wichtig: Fragen, fragen, fragen. Bekomme ich in einer Hundeschule keine Antwort, bin ich da definitiv nicht richtig. Hundeerziehungsberater und Hundetrainer sollten Antworten haben.

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