Unknown User

Cybermobbing aus dem Jenseits

Das Grauen lauert an den unmöglichsten Orten. In „Black Sheep“ verbreitet ein genmanipuliertes Lämmchen einen aggressiven Virus, in den zahlreichen Haunted-House-Movies kann eine Bleibe noch so harmlos aussehen – irgendwo wird sich schon ein alter Indianerfriedhof oder das Labor eines verrückten Wissenschaftlers finden. Der russisch-georgische Regisseur Lewan Gebriadse siedelt den Schauplatz paranormaler Vorkommnisse kurzerhand im Internet an. Ein netter Grusel für unerfahrene Horrorfilm-Gucker, der aber doch seine Längen aufweist und durch einen Bombast an überspitzten Teenager-Bekenntnissen etwas selbstzerstörerisch daherkommt.

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Laura Barns ist eine wahre Highschool-Schönheit, doch nachdem ein demütigendes Video im Netz die Runde macht, sieht sie keinen Ausweg mehr und begeht Selbstmord. Ein Jahr später trifft sich eine Clique aus sechs Mitschülern über Skype zum Online-Chat. Es könnte bei einem Mix aus Dirty Talk und Klassentreffen bleiben, wäre da nicht dieser Unbekannte, der sich unter Lauras Namen einhackt und verlangt, dass alle von ihnen sich ihre Schuld am Unglück eingestehen. Wer sich ausloggt, wird sterben. Wer mitmacht höchstwahrscheinlich auch.

Es ist ein Schultreffen der Stereotypen. Das nette, höchst attraktive Mädel und ihr noch netterer, unschuldiger Freund halten Online-Kontakt zu einem jähzornigen Ansager, einem eingebildete It-Girl, einem intelligenten Teddybären und der leicht zickigen besten Freundin der Protagonistin. Warum die Jugendlichen sich nach der Schule nicht persönlich treffen, bleibt ungewiss. Aber dank nur gelegentlich krisselnder Webcams, können sie sich ja auch so sehen.

Wirft man diese Figuren mit dem vielversprechenden Plot in einen Topf, muss das Gebräu nach dem erstem Aufköcheln eine ganze Weile erhitzen, bis es richtig los geht. Denn wir verfolgen die Geschichte über die Daueransicht von Blaires (nettes, hübsches Mädchen) Benutzeroberfläche. Während sie mit den anderen über Skype spricht, textet sie nebenbei selbstverständlich privat mit ihrem Schatz und über Facebook hat ihr kurioserweise die verstorbene Laura geschrieben, was trotz aller Warnungen sofort beantwortet werden muss. Dass nebenbei noch Links angeklickt werden, offenbart zumindest im Ansatz das Konsumverhalten eines Teenagers. Willkommen in der Zeit des Internets!
Doch so wuselig, wie das im ersten Moment klingt, ist es gar nicht. Im Gegenteil strukturieren die verschiedenen Computer-Fenster das Bild und wir erfahren sogar, was Blaire wirklich denkt, wenn eine Diskussion im Gange ist. Allerdings wird auch ein großer Nachteil sichtbar: Der Vollbildmodus bleibt deaktiviert und so wirken die verkleinerten Skype-Ausschnitte auf der großen Leinwand etwas verloren. Noch gravierender ist dies natürlich in Bezug auf die Schrift. Das Argument „Ich brauche keine Brille, weil das Bild so groß ist“ zählt hier nicht.

Sobald die ersten Verluste in der Teenager-Truppe zu verzeichnen sind, geht es aber doch heiß her. Die Schüler wissen nicht, ob es sich bei dem Laura-Double tatsächlich um ihre gepeinigte Seele oder um einen geisteskranken Hacker handelt, der den Vorfall vor einem Jahr zum Anlass nimmt, makabere Unruhe zu stiften. Sie werden aber in jedem Fall mit sämtlichen virtuellen Mitteln bearbeitet. Fotos erscheinen online und können nicht vollends gelöscht werden (Überraschung!), Anwendungen hängen sich auf oder stürzen ab (Windows lässt grüßen), nicht zuletzt wird sogar vom Print-at-home Gebrauch gemacht. Aus all diesen Mitteln wird eine schauderhafte Tötungskulisse.

Möchte man tiefer ins Horrorgenre einsteigen, hat man es hier mit einem Mix aus teils wirklich unschönen Splatter-Szenen und dem inhaltlichen Gerüst eines Geistergeschichte zu tun. Allerdings fällt es dem Film schwer, beide Seiten genügend zu bespaßen. So bleiben die harten Szenen nicht unblutig, die verlöschenden Skype-Fenster können aber schon als Gerinnungshemmer angesehen werden. Auf der anderen Seite des Ekels steht dann die übernatürliche Präsenz, die sich einfach nicht aufklärt und die aufgrund ihrer Online-Aktivität nichts wirklich Erschreckendes parat hat.

Anders sieht es mit den sechs Teenagern selbst aus. Nach einem interessanten Beginn gibt es eine Phase der Ruhe, bis Lauras Cyber-Ich plötzlich zu Hochform aufläuft und den Teens Geständnisse entlockt, die allein durch ihre Masse mit der Wirklichkeit kollidieren. Ein schwarzes Schaf reicht normalerweise, hier sind es einfach zu viele auf einmal, die dazu auch noch so viel auf dem Kerbholz haben, dass man sie in ihrer Gesamtheit nicht ernst nehmen kann. Wahre Freundschaft im Online-Zeitalter? Hier funktioniert es nicht. Das Vertrauen in ehrliche zwischenmenschliche Beziehungen verabschiedet sich und alle Menschen über 20 freuen sich insgeheim, noch eine Zeit erlebt zu haben, in der es keine Smartphones während der Schulzeit gab.

Dass die Rollenbilder so untergraben werden, kann als Dreh der Geschichte gesehen werden. Der Rückblick auf einen Film voll geheimer Antagonisten spricht aber eher für ein zu-viel-gewollt-Erlebnis. Die zu Anfang beschriebenen Charaktere bröckeln. Diejenigen, die ihre freundlichen Merkmale behalten sollten, verschwanden schon früh von der Bildfläche. Der englische Titel „Unfriended“ spricht allerdings dafür, dass Regisseur Gabriadse sehr wohl wusste, was er da tut. Schade, dass man sich für die deutsche Veröffentlichung einen neuen englischen Titel ausdachte.

Die Frage ist natürlich, inwieweit „Unknown User“ der Richtung des Found Footage gerecht wird. Wie in „Blair Witch Project“ oder „Paranormal Activity“ werden für diesen Stil keine professionellen Kameraleute gebraucht, stattdessen filmen die Schauspieler selbst. Sie verkörpern Menschen, die im Laufe der Handlung verschwinden oder eben sterben, das Material wird im Anschluss daran gefunden und dem Zuschauer als Rückblende präsentiert. Ganz rund wird das Filmerlebnis nicht. Um eine Zusammenfassung des Pressebesuchs zu geben: Während ich ungefähr den ganzen Film lang die Stirn runzelte oder zumindest eine Augenbraue hochzog, schlief ein geschätzter Kollege neben mir ein. Eine tolle Idee, die leider über das Ziel hinausschießt.

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